2.5 Interpretation

2.5.1 Zur Interpretation der baulichen Besonderheiten

Die unterirdischen Korridore und die Tonröhren

Von Anfang an hat das System der unterirdischen Korridore und der mit ihnen verbundenen Tonröhren besondere Aufmerksamkeit erregt. Ein ähnlicher Einsatz von vertikal in den Wände verbauten Tonröhren ist in der Diskussion bisher nur in sieben, eventuell acht Fällen bekannt, die sich - mit einer Ausnahme - alle auf dem Territorium des heutigen Bulgarien befinden.[116] Außer dem zur Rede stehenden Gebäude sind das die Thermen von Odessos,[117] ein Gebäude in Nicopolis ad Istrum,[118] die Bäder in Philippopolis (Plovdiv),[119] die "Großen Thermen" von Diocletianopolis (Hissar)[120] sowie die großen öffentlichen Gebäude von Pautalia (Kjustendil)[121] und Serdica (Sofia).[122]
Frova diskutiert mehrere Funktionsmöglichkeiten:[123]Eine Funktion als Heizsystem wird sehr schnell ausgeschlossen, denn die Heizwirkung von 30 cm starken Tonröhren in bis zu 2 m dicken Wänden kann als begrenzt angesehen werden; im übrigen fehlt ein praefurnium, denn am einzig möglichen Standort vor dem zerstörten Ende des Korridors nördlich von Raum A traf man auf gewachsenen Boden. Die Möglichkeit, daß das sich an den Gewölbefüßen auf dem Dach sammelnde Regenwasser durch die Röhren in die Korridore geleitet würde, ist nach Frovas Meinung auszuschließen, weil die Korridore keinen Ausfluß hätten und Schnee und Eis im Winter die Röhren verstopften. Gegen eine Funktion als Zisterne spricht das dafür verhältnismäßig kleine Volumen der Korridore. Eine Funktion als Drainage für den sehr feuchten Untergrund sei aus demselben Grunde auszuschließen. Und schließlich könnten eben wegen der Feuchtigkeit und wegen der Enge die Korridore auch nicht als Lagerräume gedient haben. Er schließt mit der Vermutung, daß die Tonröhren der Entlüftung gedient hätten (ohne zu sagen, was denn entlüftet werden sollte) und der Feststellung, daß der Zweck der Korridore unsicher bliebe.
Nach fast 25 Jahren nahm sich G. Ko^zucharov wieder des Themas an.[124] In Auswertung der unter dem damaligen Leninplatz in Sofia (gegenwärtig Sv. Nedelja) gefundenen Mauern eines großen öffentlichen Gebäudes,[125] die ebensolche Gänge und Tonröhren enthalten, stellt er die Theorie auf, daß es sich dabei um eine spezielle Technologie zur Trockenhaltung der Fundamentmauern in feuchtem Terrain (das auch in Sofia Baugrund ist) handelt.
Die bei den Ausgrabungen 1963 näher untersuchte Mauer (Abb. 32 und 33) besteht aus opus mixtum und hat eine Breite von 3,20 m. In ihr verläuft ein 1,80 m hoher und 0,70 m breiter Gang, der sehr feucht ist. Bei einer relativ starken Bodenablagerung handelte es sich nach KoÏucharov nicht um Kanalsediment. Von dem Gang aus verlaufen in einem Abstand von 2,90 m Tonröhren mit einem inneren Durchmesser 0,23 m senkrecht in der Mauer nach oben. Zwischen den beiden angrenzenden Räumen geht ein 0,60 m breite überwölbte Öffnung auf Höhe der suspensura durch die Mauer. Diese Öffnung wurde in einer Umbauphase von Raum 2 aus verschlossen, als dessen suspensura in eine Hypokaustheizung umgebaut wurde, wie Rauchspuren zeigen.
Indem Ko^zucharov davon abgeht, einen Zusammenhang zwischen der Bestimmung des Gebäudes und den Korridoren zu suchen, weil sie ja dann viel häufiger in römischen Gebäuden auftreten müßten, kommt er dazu, daß sie einen den Geländebedingungen geschuldeten konstruktiven Zweck erfüllen. Vitruv[126] beschreibt als Methode zur Isolierung einer feuchten Wand, daß eine zweite davorgesetzt und dafür gesorgt werden solle, daß zwischen beiden eine Entlüftung möglich ist, damit die neue Mauer trocken bleibe. Die Übertragung dieses Prinzips auf ein Gebäude in ebenem feuchten Gelände führt zu einem System, wie wir es in Sofia und Oescus finden. Durch die Schrägröhren und den Eingang entstünde ein Luftzug, der durch die Vertikalröhren entweicht. Auf diese Weise wird die in den Mauern aufsteigende Feuchtigkeit ständig verdunstet, ehe sie die oberirdischen Räume erreichen kann.
Fraglich ist, ob durch die geringe Zahl der Schrägröhren, die zudem noch einen sehr kleinen Durchmesser haben, ein ausreichender Zug entstehen kann; weiter, ob nicht der ständige Zug, der dann notwendigerweise auch in den Räumen herrschte (die zudem eine ständig offene Verbindung nach außen besitzen müßten), das Klima in ihnen nicht äußerst unangenehm machen würde.
Kritisiert wurde Ko^zucharovs Theorie von S. Bob^cev.[127] Er bemängelt zum einen die Unterscheidung der von KoÏucharov angenommenen Funktion von der einer tatsächlichen Drainage und fragt weiter, warum die Außenwände keine solchen Trocknungskanäle hätten. Auf der Suche nach dem konstruktiven Zweck dieser Gänge kommt er zur Vermutung, daß sie in die Fundamente eingebaut wurden, um den Druck der besonders dicken Wände auf den Boden zu senken. Bei den Außenwänden sei das nicht möglich, da diese auch den seitlichen Schub abzufangen hätten. Diese Erklärung darf wohl verworfen werden: Die Wände werden im Gegenteil auf diese Weise instabiler.[128]
Interessant sind zwei der von Bob^cev genannten weiteren Beispiele.[129] Die Wände zu beiden Seiten der Kryptoportikus in den Substruktionen der Fora von Trier und Bavai (Frankreich)[130] enthalten »Trocken- und Sickerkanäle«. In der Tat scheinen die 0,50 bis 0,70 m breiten und bis zu 2 m hohen Kanäle keinen Abfluß zu haben, zumindest können keine großen Wassermengen darin geflossen sein, da sie in beiden Fällen bei Umbauten unterbrochen wurden. Es scheint also, daß ein derartiges Drainagesystem auch ohne Abfluß und Ventilation funktionieren kann.
Eine weiterer Bau mit Korridoren in den Wänden finden wir in Metz. In der Mauer der kreisrunden piscina der Thermen von Îlot Saint-Jaques wurde ein 0,60 m breiter Gang gefunden.[131] Leider lassen die Erhaltung und die Umstände einer Notgrabung keine weiteren Aussagen zu.
Alle Erklärungsversuche blieben unbefriedigend, was K. Va^ceva veranlaßte, alle bis dahin bekannten sieben Objekte, die »vaulted galleries« und Tonröhren in den Wänden besitzen (s. o. S. 38; Abb. 34, 35, 36, 37, 38, 39), zu einer Untersuchung heranzuziehen.[132] Als erste Beobachtung bleibt festzuhalten, daß sich die Tonröhren entweder an Raumecken oder in Innenwänden an Stellen, wo Gewölbe zusammenstoßen, befinden. Das ist auch die wesentliche Übereinstimmung. Weiter führen die Tonröhren in mindestens vier Fällen[133] in überwölbte Gänge in den Fundamenten der Mauern. Schließlich sollen vom Fußbodenniveau der Räume Schrägröhren oder Schächte in die Gänge führen.[134]
Va^ceva geht davon aus, daß die logische Bestimmung der Tonröhren die Sammlung und Ableitung von Regenwasser sei. Damit ist natürlich auch der Zweck der Korridore klar, zumal nach ihrer Meinung alle sieben Bauten Bäder sind:[135] Es handelt sich um eine Kanalisation.
Am deutlichsten ist das Beispiel der Thermen von Odessos (Abb. 39 und 40). Hier sind Tonröhren und "Korridore" Teile eines umfangreichen Abwassersystems auf mehreren Ebenen, das von kleinen Abflußkanälchen bis zu großen, begehbaren[136] Kanälen (den "Korridoren") reicht (Abb. 39).
Nach Va^ceva lassen sich die genannten Bauten in zwei Gruppen unterteilen: Die einen (Odessos, Nicopolis ad Istrum, Philippopolis) stehen auf festem Grund mit niedrigem Grundwasserspiegel. Sie haben Röhren an den Ecken der Säle oder Stellen, wo Dachkonstruktionen zusammentreffen. Die anderen (Oescus Diocletianopolis, Serdica, Pautalia) haben Röhren im Abstand von 3,40 m bis 1,30 m, meist ca. 3 m. Die größere Anzahl der Röhren dient nach Va^ceva zusätzlich zur Ventilation, um die Feuchtigkeit aus dem Innern der Mauern abzuführen.
Die letzte Gruppe ist mit einer besonderen Art der Heizung verbunden: Die Hypokausten in Pautalia bestehen aus Arkadenreihen, die mit Tonnengewölben verbunden sind (Abb. 51). In Serdica handelt es sich ebenfalls um eine Arkadenkonstruktion.
Kehren wir nun zum hier zur Rede stehenden Gebäude zurück. Bei aller Zurückhaltung gegenüber der doch recht oberflächlichen Arbeit Va^cevas bleibt die auffällige Tatsache, daß durch die Vertikalröhren der Regen- und Schmelzwasser zwangsläufig in die Tonröhren und also in die unterirdischen Korridore fließen muß. Es stellt sich damit die Frage nach seinem weiteren Verbleib. Der rekonstruierte Grundriß von Va^ceva zeigt Ausflüsse an den Enden der Korridore, die zur Westfassade des Gebäudes führen. Die Enden dieser Korridore erscheinen aber - und das ganz sicher antik - abgeschlossen und die Außenfassade durchgehend. Betrachtet man hingegen den zerstörten Abschluß des Korridors östlich von Raum A, bestünde hier die Möglichkeit, einen Ausfluß anzunehmen, zumal diese Seite dem Stadtgraben unmittelbar zugewandt ist. Frova meint zwar, daß dieser Korridor an dieser Stelle abgeschlossen war, aber die von ihm als Beleg angeführten Eckquader, die sich auch heute noch in situ befinden, liegen oberhalb des Gewölbescheitels. Bei genauer Betrachtung des Zustandes (Abb. 41 u. 42) und auch des Grabungsfotos (Abb. 43) gibt es keinen zwingenden Grund anzunehmen, daß der Gang verschlossen war. Da es aber das Ungewöhnlichere ist, daß ein Gangsystem, in das Wasser läuft, keinen Abfluß hat, zwingt uns somit nichts, dies zu vermuten.
Schwierig ist allerdings die Frage des Nivellements. Leider stehen mir keine Nivellements der Korridore wie auch des Stadtgrabens zur Verfügung. Das gesamte Gebäude scheint heute im Verhältnis zum umgebenden Terrain sehr tief zu liegen (Abb. 44). Aber es muß auch davon ausgegangen werden, daß der Stadtgraben zugestürzt bzw. -geschwemmt ist. Eine einfache Messung, um festzustellen, ob in den Gängen ein Gefälle existiert, verbunden mit einer Sondage, um das Niveau der antiken Grabensohle festzustellen, könnte die oben geäußerte Vermutung zwar nicht beweisen, aber entweder wahrscheinlicher machen oder mit Sicherheit ausschließen.[137]

Zur Frage der Eingänge und der Beheizbarkeit

Die zweite Auffälligkeit im Plan der Anlage ist der Umstand, daß - abgesehen von den fünf schmalen Öffnungen zwischen den Räumem D und E - auf dem von Frova angenommenen Fußbodenniveau kein Raum mit dem anderen in Verbindung steht. Das heißt, alle Räume wären nur von außen zugänglich gewesen, darüber hinaus hätte Raum A auf dieser Ebene überhaupt keinen Zugang gehabt.
Wie sich zeigen wird, ist die Klärung oder zumindest Erhellung dieses Problems mit dem Problem der Beheizbarkeit verbunden. Abgesehen von der Tatsache, daß keinerlei Reste einer Heizungsanlage gefunden wurden, schien es auch ausgeschlossen, daß das Gebäude eine solche besessen haben könnte. Damit sich irgendwo außerhalb oder innerhalb ein - vielleicht verlorenes - praefurnium befunden haben könnte, hätten in den Wänden ausreichend große Öffnungen unterhalb des Bandes von drei Ziegelreihen vorhanden sein müssen, die den Durchzug der Heizgase vom fornax in die zu beheizenden Räume gestatteten oder als indirekte Heizkanäle dienten. Aber auch die am tiefsten ausgebrochenen Öffnungen der Außenmauern genügten nicht für eine Heizöffnung, und in den Innenmauern befinden sich die unterirdischen Korridore, deren Gewölbe erst mit dem Band von drei Ziegelreihen abschließt.
Da es bei einem solchen - wie zu vermuten steht - öffentlichen Gebäude merkwürdig wäre, sollte es nur durch Kohlebecken beheizt worden sein, muß die Frage erlaubt sein, ob eine Boden- und Wandheizung tatsächlich ausgeschlossen oder nur nicht mehr nachweisbar ist.
Hier kommen wir auf die Beobachtung Va^cevas zurück, daß in Gebäuden mit unterirdischen Korridoren sich diese unter dem Niveau der Heizung befanden.[138] Auch in anderen Thermen befand sich die Kanalisation unterhalb der Hypokaustanlagen (Abb. 45).[139] Betrachten wir die Hypokaustanlagen in Bulgarien, so finden wir in feuchtem Gelände (Serdica,[140] Nicopolis ad Nestum[141]) vor allem oberirdische Hypokaustanlagen.[142] Auch bei dem wesentlich höher gelegenen "Südostbad" von Oescus befindet sich das Hypokaust oberhalb des Umgebungsniveaus (Abb. 46 und 47). Will man diese Annahme für Oescus zulassen, hieße dies, daß das bisher als Fußbodenniveau angenommene Niveau nur das des Hypokaustbodens wäre. Die Durchgänge zwischen den Räumen könnten nicht erhalten sein, weil sie sich über dem Hypokaustraum auf Höhe des beheizten Fußbodens befunden hätten. Die bisher für Eingänge gehaltenen Öffnungen kämen zumindest teilweise als Rauchgaszugänge von Präfurnien her in Frage.
Es ist nun zu klären, ob eine solche Hypothese mit dem Befund zu vereinbaren ist. Die maximale Erhaltung der Mauern über dem nun anzunehmenden Hypokaustboden liegt bei 1,20 m. Die Abstand zwischen Praefurniumsboden und Fußbodenniveau beträgt bei den verschiedenen Bauweisen der Hypokauststützen etwa zwischen 0,85 und 1,45 m (Bad Diocletianopolis, Tonröhren: ca. 0,85 m (Abb. 48); Oescus, "SO Bad", Ziegelpfeiler: ca. 1,20 m (Abb. 49); Nicopolis ad Istrum, Bad (?), Arkadenreihen: ca. 1,40 m (Abb. 50); Pautalia, öffentliches Gebäude (Bad?), Arkaden Gewölbe Konstruktion: ca. 1,45 m (Abb. 51)). [143] Wenn wir der Beobachtung, daß auf feuchtem Terrain stabilere und damit höhere Hypokaustkonstruktionen Verwendung finden,[144] folgen, ist es möglich, daß in Oescus die Schwellen der Durchgänge zwischen den Räumen und die oberen Abschlüsse der Öffnungen zu den praefurnia verloren sind. Wenn letztere teilweise auch sehr groß erscheinen, sei darauf hingewiesen, daß sie zum Hitzeschutz in der Regel noch einmal mit Ziegeln ausgekleidet wurden (Abb. 52).[145] Wenn wir uns den Baubefund des Gebäudes in Oescus in Erinnerung rufen (s. o.), finden wir etwa 1,20 über dem Band von drei Ziegelreihen ein weiteres Ziegelband, von dem jetzt noch stellenweise eine Reihe erhalten ist, von dem aber Frova noch drei Ziegelreihen gesehen hat.[146] Dieses Ziegelband markiert möglicherweise das Fußbodenniveau.
Natürlich stellt sich bei dieser Hypothese die Frage nach dem Außenniveau. Die an der Südostecke gefundene Straße lag vier bis fünf Steinreihen unter Höhe des Bandes von drei Ziegelreihen. Allerdings scheint sie nicht zu der ursprünglich geplanten Anlage gehört zu haben. Sie war von schlechter Qualität und es fanden sich auf ihr byzantinische Münzen und Gläser. Es ist nicht zu klären, auf welche Weise - ob durch Terassierung oder Treppen - der Höhenunterschied auszugleichen gewesen wäre. Jedenfalls liegt auch beim "SO-Bad" das Fußbodenniveau der Baderäume ca. 1,00 bis 1,20 m über dem Niveau des davor verlaufenden decumanus. Hier führt in einem Vorraum eine Treppe auf das notwendige Niveau.
Es bleibt zu begründen, warum keinerlei Reste der Heizungsinstallation gefunden wurden. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß auch ein Fußboden / Hypokaustraumboden sowie jegliche Innenausstattung fehlen. Die gefundenen Marmorteile befanden sich an keiner Stelle in situ. Frova vermutet, daß das Gebäude systematisch geplündert und gewaltsam zerstört wurde und verweist dabei auf Brandspuren an einigen in den späten Mauern wiederverwendeten Teilen.[147] In der Tat wäre es möglich, eine Hypokaustheizung, deren konstruktive Anbindung an die Wand ja "über Putz" ausgeführt wurde, herauszureißen, ohne daß an der "Kernmauer" Spuren blieben. Abb. 53 zeigt als Beispiel eine teilweise Zerstörung bei einem Ziegelpfeilerhypokaust. An einigen Stellen sind die Pfeiler nur noch durch Spuren im Putz auszumachen. Es bleibt aber schwierig, sich eine Zerstörung vorzustellen, bei der an keiner Stelle auch nur eine Spur von Putz an den Wänden geblieben wäre. Deshalb sollte eine weitere Möglichkeit in Betracht gezogen werden: Im Laufe des 2. Jh. u. Z. war die Stadt Oescus weit über die Stadtmauern hinaus gewachsen.[148] Auch der große Neubau eines öffentlichen Gebäudes in der ersten Hälfte des 3.Jh. wurde außerhalb der Mauern angelegt. Ab 238 u. Z. wurde die Lage in Niedermösien durch Barbareneifälle zunehmend unsicherer (s. Abschnitt »Geschichte«). Spätestens für das Jahr 250 haben wir Hinweise auf eine direkte Einbeziehung Oescus' in die Auseinandersetzung: In Gigen wurde ein Münzhort gefunden, der mit Münzen von Philippus Arabs schließt.[149] Gerov bringt ihn zu Recht mit der Goteninvasion von 250 in Verbindung.[150] Ivanov nimmt an, das die unter den neugebauten Mauern von Oescus II gefundenen Wohnhäuser zu dieser Zeit zerstört wurden.[151] Schließlich haben wir noch die Nachricht, daß Decius bei Oescus sein Heer reorganisierte, bevor er zu dem für ihn verhängnisvollen Feldzug aufbrach.[152] Es scheint also nicht zu kühn zu vermuten, daß der in sichereren Zeiten begonnene Bau, vielleicht schon durch die kriegerischen Auseinandersetzungen in Mitleidenschaft gezogen, aufgegeben wurde, bevor er fertiggestellt war.[153] In dem halbfertigen Bau, der aber zumindest in einigen Räumen schon überwölbt war, wurden später nach nicht allzu langer Zeit für eine andere Nutzung (möglicherweise als Lager oder Stall) kleine Mäuerchen eingezogen, die sich sämtlich auf dem Niveau befinden, auf das ursprünglich der Hypokaustboden kommen sollte. Das hieße auch, das alle in dem Gebäude gefundenen Objekte - außer den oben beschriebenen Ausnahmen   durchaus nicht unbedingt mit der geplanten Erstnutzung in Verbindung zu setzen sind.

2.5.2 Möglichkeiten der Interpretation

Als Grundlage für die Deutung des Gebäudes bleibt, da die Funde zum einen keine Hinweise für eine Interpretation bieten, zum anderen, wie gezeigt, unter Umständen dem Gebäude in seiner geplanten Funktion nicht zugehören, nur das Gebäude selbst, seine Lage und sein Grundriß.
Die Größe des Gebäudes, die massive Bauweise und - will man die gefundenen Marmorteile dem Bau zuschlagen - die luxuriöse Ausstattung lassen vermuten, daß es sich um ein öffentliches Gebäude handelt. Die Lage außerhalb der Stadt schließt ein Verwaltungsgebäude aus, denn das hätte unbedingt in der Nähe des Forums seinen Platz gefunden. Gegen irgendeine religiöse Funktion spricht der Grundriß des Gebäudes, der in der bekannten Sakralarchitektur dieser Zeit keine Parallele findet.[154] Auch die Militärarchitektur bietet keine Parallelen, zumal nach dem bisherigen Wissensstand zur fraglichen Zeit keine nennenswerte Garnison in Oescus lag. Die Lage vor der Stadt läßt an eine Einrichtung in Verbindung mit Reise und Handel denken, etwa eine Staßenstation (mansio, mutatio ). Aber auch hierfür wäre eine weniger monumentale Architektur zu erwarten und, wichtiger noch, kleinere Räume, die zur Unterbringung der Gäste sowie als Wirtschaftsräume geeignet waren.
Nach allen diesen Überlegungen bleibt kaum eine Möglichkeit der Deutung, außer der, die ein flüchtiger Blick auf den Grundriß bereits als naheliegend erscheinen läßt, nämlich eine Deutung als öffentliches Bad. Im weiteren wird untersucht werden, ob außer dem Fehlen von Ausschlußgründen auch positive Indizien für eine Interpretation als Bad sprechen.
 
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